Wie bin ich hier gelandet und warum du?

Wir stehen an der Ampel,
reden ganz normal wie immer als Freunde
und ich muss schon sagen: Es bereitet mir Freude,
mit dir hier zu stehen,
denn unsere Gespräche sind natürlich auflockernd, kurz gesagt:
wir verstehen uns meistens doch recht gut,
aber irgendwas ist in mir, das entflammt meine Wut,
denn du machst Witze über Themen, mit denen ich gar nicht richtig sitze,
und obwohl die Wut in mir kocht,
mein Herzschlag pocht,
kommt aus meinem Mund nur ein kläglicher Versuch der versuchten Klage.
Wenn ich dich so vor mir stehen seh‘
und mich genau erinnere an die Tage,
an denen ich weinte vor Lachen wegen eines dummen Witzes von dir fabriziert,
verlöscht sich jegste Flamme der Wut, die bis eben noch meine Meinung antrieb.
Und nun steh ich hier und versuch dir zu erläutern,
warum manche Wörter besser im Hals stecken bleiben sollten,
egal ob man es so meint oder nicht, denn was Rassisten einst zu ihrem Wortschatz zählten,
sollte nicht auch dein Vokabular im Alltag prägen.
Und es kocht in mir erneut, weil ich weiß, du bist nicht so wie die anderen und doch irgendwie
genauso wie sie,
denn du bist nicht nur rassistisch, sondern auch hier findet man einen Hauch von Homophobie.
Doch eigentlich bist du kein Rassist und auch kein Homophob,
denn du hast nichts gegen Menschen, die anders aussehen als du.
Es ist nur dieses verdammte Wort, was du ständig wiederholst.
Dieses verdammte Wort, was dir nicht zusteht,
egal wie oft du mir erklärst,
dass du es nur nutzt, um dich über Rassisten lustig zu machen.
Doch wann wirst du es endlich verdammt nochmal schnacken?
Es ist nicht dein Platz, dieses Wort zu nehmen
und es um dich herum zu werfen,
als wärst du derjenige,
der sich mit solchen Beleidigungen bis heute noch muss quälen.

Doch da hört es nicht auf, denn irgendwie springen wir von einem Thema auf ein anderes
und landen plötzlich bei dem Wort, was meinen Puls auf 180 bringt.
Denn wie leicht es dir fällt, das Wort Sch****l zu sagen,
ohne dabei dich moralisch zu fragen,
wieviel tausend Menschen du grade gleichzeitig beleidigt hast,
indem du eine sexuelle Orientierung als ein Schimpfwort nutzt.
Und nein, Sch****l ist tatsächlich kein Adjektiv,
obwohl bei dem Gebrauch dieses Wortes mancher es definitiv nach einem aussieht.
Es ist eine Beleidigung gegenüber Männern, die einfach ihr Leben leben wollen,
ohne von euch Kerlen
ständig herunter gemacht zu werden ohne Grund,
weil ihr euch, weiß nicht, cool fühlt dabei. Ehrlich ich versteh‘s einfach nicht,
was so attraktiv an dem Gedanken ist,
mit den Gedanken ein in der Vergangenheit
feststeckender Egoist
zu sein, doch feststecken ist hier nicht das richtige Wort,
denn es ist ja immer noch eure Wahl,
etwas einfach nicht zu sagen
und vielen Menschen einfach die Qual zu ersparen.
Das Gleiche gilt übrigens auch für Wörter wie r***ed,
außer natürlich du siehst nichts falsch daran,
behinderte Menschen zu beleidigen
"Just for fun".
Also tu uns bitte allen den Gefallen,
beim nächsten Mal einfach die Fresse zu halten!

Wir stehen an der Ampel, das Gespräch schon längst erloschen
und die Frage rennt durch meinen Kopf, doch mir fällt leider kein Groschen.
Wie bin ich hier gelandet und warum du?
Warum musst du derjenige sein, der so was tut?
Denn ich mag dich wirklich sehr als Kumpel ganz platonisch,
doch ich muss gestehen, wenn jemand mit Ausdrücken wie deinen
heute jetzt genau hier in mein Umfeld treten würde,
dann würd‘ ich schnurstracks in die andere Richtung laufen,
denn solche Leute kann ich in meinem Leben nicht gebrauchen.
Doch du bist nicht solche Leute, auch wenn du es manchmal bist,
denn schließlich akzeptierst du andere Leute und auch mich,
ich, als schon recht gutes Beispiel eines Homosexuellen.
Trotzdem benutzt du dieses Wort, ich kann es nicht verstehen
und so stehen wir hier an der Ampel, es wird grün,
wir gehen uns‘res Weges, reden wie immer
und plötzlich lachen wir gemeinsam und es fühlt sich an wie immer
und plötzlich hab‘ ich einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Vielleicht irgendwann wirst du erkennen von alleine,
dass manche Wörter besser in deinem Hals stecken bleiben,
und vielleicht wird dann die Frage, die mich jetzt schon länger quält:
Wie bin ich hier gelandet und warum du?;
vielleicht haben wir bald eine Zukunft, in der diese Frage keine Unsicherheit mehr zwischen uns trägt.

Lena Patzenhauer, A21m

 

(BA/31.10.2020/BC)

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